Radbeherrschung kostet Energie

Radfahren benötigt nicht nur Muskelkraft und Ausdauer, sondern auch geistige Potenz. Kaum einer ist sich dessen bewusst, dass Bewegungsmotorik und Konzentration ebenso Kohlenhydrate - als wichtigster Energielieferant - verbraucht wie unser Körper. Auch wenn fahrtechnische Bewegungsabläufe nur unterschwellig wahrgenommen werden, so läuft im Kopf dennoch ein energiezehrendes Neuronenfeuerwerk ab. Die kognitive Leistung wie z.B. Entscheidungsfähigkeit, Urteilsvermögen, Reflexe, Aufmerksamkeit, Balancegefühl, Koordinationsfähigkeit und Sehschärfe unterliegt - wie die Kraftausdauer auch - begrenzten Ressourcen.

Da das menschliche zentrale Nervensystem (ZNS) - bestehend aus Gehirn und Rückenmark - über die Hälfte der täglich durch Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate verbraucht, setzen Extrembelastungen bzw. Nährstoffunterversorgung die Sinneswahrnehmung und Denkleistung herab. Demnach ermüden Radfahrer physisch wie kognitiv, was z.B. Konzentrationsschwäche verursachen kann. Verminderte Konzentration begünstigt wiederum Fahrfehler bzw. Fehleinschätzungen und verlängert überdies die Reaktionszeit. Weil ein schleichender Ermüdungsprozess kaum bewußt wahrgenommen und demzufolge der Fahrstil unverändert bleibt, steigt je nach Erschöpfungsgrad und den herrschenden Bedingungen (z.B. Nässe, Wind, Passabfahrten, Windschattenfahren) das potentielle Sturzrisiko. 

Erschöpfungzustände (Überbelastung) können Konzentrationsmängel hervorrufen, deren Ursache i.d.R. in Belastungsmerkmalen wie abgesenkter Blutzuckerspiegel bzw. entleerte Glykogenspeicher liegen. Je höher die abgeforderte Hirnleistung, desto mehr wird Glukose als „Treibstoff“ benötigt, das der Organismus in Reinform nicht selbst herstellt sondern aus der Verstoffwechslung von Lebensmitteln gewinnt. Gehen im erschöpften Zustand die Glycogen - Speichervorräte zu neige droht neben verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit zudem Konzentrationseinbuße. Die mentale Performance lässt nach - Müdigkeit, Verwirrtheit, Aufmerksamkeitsdefizite, sinkende Kombinationsfähigkeit und verlangsamte Reaktionsfähigkeit sind die Folge. Je nach Belastungsgrad ist das analytische Denken wie z.B. Entscheidungsfähigkeit, Urteilsvermögen, Koordinationsfähigkeit, Reflexe und Sehschärfe mehr oder weniger eingeschränkt. Weil Erschöpfung, Unterzuckerung oder Dehydrierung sowohl einen physischen Leistungsschwund als auch verminderte Konzentrationsfähigkeit bewirken, sollten vage Anzeichen (Körpergefühl) ernst genommen werden.

Solche Mangelzustände sind auch deshalb brisant, weil nachlassende Konzentrationsfähigkeit subtil, schleichend und teils unterhalb der Bewusstseinsschwelle vonstatten geht. Fatal ist, wenn wir die eingeschränkte Sinnes- und Denkleistung nicht bewusst wahrnehmen. Untrügliche Symptome für mentale Überbelastung sind Fahrfehler, verlangsamte Reaktion, erschwerte Informationsaufnahme bzw. unkoordinierte Motorik. Ernstzunehmende Signale, die im eigenen Sicherheitsinteresse nicht zu unterschätzten sind. Wer aufgrund körperlicher bzw. mentaler Überlastungssyndrome nicht mehr in der Lage ist, seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf das Radfahren zu fokussieren, sollte sich schleunigst eine erholsame Auszeit gönnen. Regenerative Pausen dienen der Psychoregulation, d.h. dem Wechselspiel aus Anspannung und Entspannung. Nachdem sich die Kräftepole wieder im Lot befinden, kann seine Tour bedenklos mit frischem Elan fortsetzen.

Übung macht den Meister 

Übung macht den Meister. Je intensiver Schwerpunktverlagerungen, feinfühlige Bremsdosierung und Reaktionsvermögen geübt werden, desto sicherer bewegt man sich mit seinem Gefährt. Komplexe Koordinationsleistungen sind willentlich nicht steuerbar sondern allein das Ergebnis systematischen Trainings, dessen Lernprozess peu a peu den Automationsgrad erhöht. Je größer das intuitive Fähigkeitspotential desto lockerer, spielerischer, präziser und vor allem schneller gehen einem die sensomotorischen Mechanismen von der Hand. Der Mensch kann zwar die Fahrphysik nicht außer Kraft setzen, wer sein Rad aber kontrolliert beherrscht, vorausschauend radelt und Gefahrensituationen frühzeitig erkennt leistet für sich einen enormen Sicherheitsbeitrag. Somit wird das Risikopotential gesenkt, während das unvermeidbare minimale Restrisiko dem allgemeinen Lebensrisiko geschuldet bleibt. 

Die im Alter abnehmende motorische Fähigkeit verursacht bzgl. Massenträgheit häufig Gleichgewichtsprobleme. So haben ältere Radfahrer ihre liebe Not, den Körperschwerpunkt entgegen Flieh- oder Bremskräfte zeit- und situationsgerecht anzupassen. Selbst das Anhalten und Absteigen bereitet manchen Senioren sichtlich Probleme. Nichts desto trotz hält Radfahren insbesondere ältere Menschen sowohl körperlich als auch geistig fit und agil. Abgesehen von den vielfältigen physiologischen und organischen Gesundheitseffekten gilt diese Freizeitaktivität als ideales Gehirntraining, bei dem die Motorik nachhaltig gefordert und geschult wird, wobei sogar neue Synapsenverbindungen entstehen. 

Solange die Sinne geschärft und sensibilisiert sind, gelingen Bewegungsabläufe anstrengungsfrei und fließend (intuitiv). Dies ist der Grund warum es anfänglich hakt, wenn Motorik, Reflexe und Reaktionsschnelligkeit nach längerer Radabstinenz (z.B. im Frühjahr) „eingeschlafen“ sind. Klar im Vorteil sind diejenigen, die automatisierte Handlungsabläufe verinnerlicht haben, da sie nicht nur wesentlich rasanter und genauer erfolgen sondern wegen geringerer Hirnaktivität sogar weniger Energie verbrauchen. Den Synapsen gelingt es hierbei, Handlungsweisen um ein x-faches schneller zu dechiffrieren. In heiklen Gefahrensituationen, wo es darauf ankommt blitzschnell zu handeln, definitiv ein dickes Sicherheitsplus. Manchmal sind Sekundenbruchteile entscheidend, wie effektiv brenzlige Situationen bewältigt werden. Schließlich verfügt das Rad über keinerlei Assistenzsysteme a la Kraftfahrzeuge, die bei menschlichen Fahrfehlern elektronisch eingreifen und das Malheur korrigieren. 

Überall und jederzeit ist mit unvorhersehbaren Ereignissen, Gefahren und Hindernissen zu rechnen. Radverkehr, Fußgänger, Kinder, Scater, frei laufende Hunde usw. erfordern stete Aufmerksamkeit. Unasphaltierte Wege sind dagegen mit Gefahrenpotential behaftet, das sich hauptsächlich auf die Bodenbeschaffenheit bezieht. Dort droht Ungemach durch Schlaglöcher, Regenrinnen, loser Schotter oder Bodenwellen. Fluss-Radwege sind naturgemäß anfällig für Überschwemmungen. Nach Überlutung sind auf unbefestigten Streckenabschnitten Beeinträchtigungen wie aufgeweichter Untergrund oder umgestürzte Bäume fast unvermeidbar, weswegen die Befahrbarkeit bisweilen zum fahrtechnischen Balanceakt ausartet. Darüber hinaus ist das Forwärtskommen des erhöhten Rollwiderstands wegen äußerst mühsam. Bis derartige (Flur-) Schäden beseitigt sind, können je nach personeller und finanzieller Ausstattung der verantwortlichen Kommunen Wochen oder gar Monate vergehen. Flüsseradlern in Bayern bietet der Hochwassernachrichtendienst Auskünfte über aktuelle Pegelstände oder Hochwassermeldestufen. 

Das Gehirn

Von allen Organen im menschlichen Körper hat das Gehirn den höchsten Energiebedarf. Umso wichtiger, bei ausdauernden Sinnes- und Denkleistungen für einen bedarfs- und zeitgerechten Energienachschub zu sorgen. Diesbezüglich ist das Gehirn im Verhältnis zu seinem Gewicht kein „Kostverächter“. Obwohl seine Masse nur 2 % des Körpergewichts ausmacht (ca. 1400 Gramm), benötigt es über die Hälfte der zugeführten Kohlenhydrate bzw. verbraucht etwa 20 - 25 % des täglichen Kalorienbedarfs. Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Steuern und Reagieren gibt es nicht zum „Nulltarif“.

Das Gehirn benötigt viel Sauerstoff: 20 % des eingeatmeten Gases (21 % Sauerstoff, 78 % Stickstoff, 1 % Edelgase) werden umgehend verstoffwechselt. Anders als die Muskeln kann das Gehirn jedoch nicht auf eine alternative Energieversorgung umswitschen, da es ausschleßlich Zucker (Glykogen) und Sauerstoff benötigt. „Ohne Sauerstoff geht im Körper nichts“, sagt Dr. Leonard Fraunberger, Facharzt für Innere Medizin und Sportmedizin an der Uniklinik Erlangen. Schließlich benötigt jede einzelne Zelle für den Stoffwechsel Sauerstoff, mit dem der Körper aus Nährstoffen seine Energie gewinnt. 

Schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) - neueste Prognosen gehen von 1 Billion aus – besitzt der Mensch. Da ein einziges Neuron bis zu 10.000 Verknüpfungen - genannt Synapsen mit anderen Neuronen bilden kann, verfügt das menschliche Gehirn mindestens eine Billiarde Synapsen, deren Kommunikation mittels elektrischer und chemischer Signale erfolgt. Das Neuronennetz ergäbe eine Nervenbahnenstrecke von ca. 5,8 Millionen Kilometer, was einem 145-fachen Erdumfang entspricht. Unvorstellbare Dimensionen die belegen, wie komplex unsere Gehirnstruktur aufgebaut ist.