Streckencharakteristik

Gebannt warten gut 9000 Teilnehmer auf den Startschuß.

Wie ein unendlich langer Bandwurm wälzt sich das kilometerlange Startfeld den ersten Pass des Tages - den Campolongo hinauf. In dieser Phase kann man sich überholen abschminken. Erst nach der Pass-Überquerung lichtet sich allmählich das Feld.

Um 6.30 Uhr heißt es in La Villa am Fuße der berühmten Ski-Weltcupstrecke Gran Risa Piste wieder: "auf die Pässe - fertig - los". Dröhnendes Helicoptergeräusch bringt die prickelnde Atmophäre zum Knistern. Frierend im Starterpulk stehend warten die Protagonisten ungeduldig auf den erlösenden Countdown. Mit dem Startschuss hebt sich der Vorhang und macht die Showbühne frei für die Hatz auf die Dolomitenpässe.

Vollgasmodus bleibt Semi-Profis beschieden, die adrenalingeschwängert aus dem ersten Startblock los preschen. Partriotische Athlethen aus fast allen italienischen Provinzen spielen ihren Heimvorteil aus und fighten verbissen um Führungsplätze. Wie sagte einst der unvergessene Fausto Coppi vielsagend: "Ein Fahrer in Hochform kann sich alles erlauben." Alle anderen stehen in den hinteren Startreihen erst mal im Stau und sind bis zum "Abflug" zur fröstelnden Wartestellung verdammt. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt die lycra-bekleidete Menschenmenge nach und nach in Bewegung. Gleichmäßig schwimmt jeder im dichten Pulk - umsäuselt vom internationalen Sprachengewirr - stromaufwärts mit. An ein Überholen ist die nächsten 10 km bis zur ersten Passhöhe des Tages kaum zu denken. Der kilometerlange Bandwurm wälzt sich wie zähflüssige Melasse via Corvara den Campolongo-Pass (1 875 m.ü.M.) hinauf. Das Einfallstor zur legendären Sella-Runde bildet mit durchschnittlich 6 % Steigung bei frischer Morgentemperatur das ideale Terrain, den Körper schonend auf Betriebstemperatur zu bringen.  

Nach kurzer Abfahrt (275 hm) vorbei an Arabba folgt mit 650 hm ansatzlos der nächste Passanstieg. Verglichen mit dichtem Gedränge am Campologno lichtet sich am Passo Pordoi (2.239 m.ü.M.) - der zum Weltkulturerbe zählt - das Fahrerfeld ein wenig. Gelegenheit, sein Leistungsvermögen auszuspielen und Boden auf vorauseilende Fahrer gut zu machen. Der Ausleseprozess beginnt, das Klassement formt sich langsam. Manche attackieren und arbeiten sich beherzt nach vorne, andere schwimmen unauffällig mit dem Feld während schwächere Fahrer durchgereicht werden. 

Anaerobe Attacken, welche die Laktatverträglichkeit testen, wollen angesichts der stattlichen Höhenmeter gut überlegt sein. Ansonsten kann der berüchtigte Sternschnuppen-Effekt unverhofft das Anfang vom Ende bedeuten. In diesem Sinne: non lodare il giorno prima della sera - du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben. Im Ausdauerbereich wird so gut wie immer unterhalb der funktionellen Schwellenleistung gekurbelt dessen Belastungsintensität über Stunden hinweg problemlos gefahren werden kann. Bei einer Pässegala wie dem Maratona ist gleichmäßige Kraftentfaltung die halbe Miete.

Das Pordoijoch ist der zweithöchste Dolomiten-Gebirgspass, wo zu Ehren des 5-fachen Giro-Siegers Fausto Coppi genannt „il Campionissimo“ (1919-1960) ein Denkmal steht. Der Pass war schon 13 Mal der höchstgelegene Punkt des Giro d'Italia bzw. vier Mal Etappenziel der Italien-Rundfahrt.

Auffällig die liebliche Landschaft, die talwärts von saftgrünen Bergwiesen und bergwärts von schroff emporragenden Felswänden des imposanten Sella-Stocks kontrastiert wird. Der Campolongo-Sattel bildet mit dem Pordoijoch, Sellajoch (2 244 m.ü.M.) und Grödner Joch
(2 221 m.ü.M.) um den Sellastock herum die beliebte "Sellaronda". Vom Sellajoch genießt man eine atemberaubende Aussicht auf den 3 181 m hohen Langkofel.  

Am Pordoi- Sella- und Gardena Pass (Verpflegungsstation) sortiert sich das Feld, wodurch sich das Leistungsniveau der Fahrer zunehmend angleicht. Sella-Ronda-Teilnehmer biegen nach 55 km bereits auf die Zielgerade in Corvara ein (Zielschluss 13 Uhr). Sofern der Verzweigungspunkt bis 11.15 Uhr passiert wurde - ansonsten untersagt der Veranstalter die Weiterfahrt auf die mittlere/lange Strecke - dürfen alle anderen Fahrer den Campolongo ein zweites Mal in Angriff nehmen. 

Nach Passüberquerung folgt via Arabba eine berauschende 400 hm - Abfahrt, worauf sich über Cernadoi (KM 76 Abzweig der Mittleren Strecke) bis nach Belvedere di Colle Santa Luca (1 311 m.ü.M.) die einzige längere flache/wellige Etappe anschließt. Auch in Cernadoi greift ein Zeitlimit. Fahrer die nach 11.40 Uhr eintrudeln, werden von den Streckenposten auf die Mittlere Strecke geschickt. Damit ist der Ciau für Nachzügler Geschichte.

Das Streckenprofil durch das Herz der Südtiroler Dolomiten ist von ständigem Auf und Ab geprägt. Erholsame Flachetappen bilden die Ausnahme, dafür sind die Pässe nicht allzu steil und des gleichmäßigen Steigungsprofils wegen angenehm rhythmisch zu fahren. Dies spiegelt sich auch in der geringen Ausfallqoute wider, die durchschnittlich unter 1.5% liegt. Abgesehen vom qualvollen "Sargnagel", der einem 5 km vor dem Ziel einen fiesen 19% Stich beschert, beschränken sich die steilsten Passagen auf das Sellajoch (11 %) sowie dem Valparola (12 %.). Sofern man nicht gerade über seiner anaeorben Schwelle fuhr und mit Laktatüberschuss zu kämpfen hat, lassen sich die Pässe mit einer halbwegs passablen Trainingsform ganz gut bewältigen.

Der 10 km lange Passo Giau (922 hm) fordert mit einem Steigungsmittel von 9.3% Ausdauer- und Kletterfähigkeit heraus. Nach mehreren Stunden im Sattel zwickt und zwackt der Anstieg schon ein wenig. Je schwerer die Beine umso härter die Nuss die man knacken möchte. Wer seine Kräfte gut einteilte, braucht dennoch den Mann mit dem Hammer nicht zu fürchten, auch wenn der Giau beim Maratona das Maß der Dinge ist. Gemessen an anderen Alpenpass-Kalibern ist der Giau gleichwohl keine unlösbare Herkulesaufgabe. 

Bei aller Kraftanstrengung wirkt sich die herrliche hochalpine Gebirgswelt auf die psychische Gemütsverfassung wie ein mentaler Energiespender aus. In steter Regelmäßigkeit wird man wundersam von quälenden Steigungsprozenten abgelenkt. Immerhin gehören Teile der Dolomiten seit 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe. Hat man nicht nur die tickende Uhr im Hinterkopf, sondern findet ein wenig Muße für die faszinierenden Panoramen, der kann die anmutende Gebirgswelt sinnlich auskosten. Wem das Resultat zweitrangig ist, wird ein paar Minuten Zeitverlust liebend gern für einen Schwall an Impressionen eintauschen.

Falzarego und Valparola (2 200 m.ü.M.) werden im Prinzip in einem "Rutsch" gefahren, da die Querverbindung von der Falzarego-Passhöhe zum Valparola eine Höhendifferenz von nur 83 hm misst. Dennoch piesackt der 10 % steile Schlussabschnitt zum Ende hin gewaltig. Die Passhöhe bietet mit seinem überwältigendem Gebirgspanorama zum kurzen Stopp an. Zum einen kann selbstzufrieden das Geschehen resümiert werden, zum anderen kommt der Kopf kurzzeitig zur Ruhe. Das Cool Down bündelt nochmals mentale Kräfte, um die finalen 800 Tiefenmeter bis La Villa (14 km) konzentriert und sicher zu berwältigen.

  Konzentrationsprobleme

Eine allgemein unterschätzte Gefahr lauert auf ausgemergelte Radsportler, wenn vor Zielschluss noch eine anspruchsvolle Abfahrt ansteht. Aufgrund geleerter Glucosespeicher (niedriger Glucoseanteil im Blut) führt ein niedriger Blutzuckerspiegel zu Konzentrationsproblemen. Dies beeinträchtigt die Sensomotorik mit der Folge, dass sich Fahrfehler einschleichen können bzw. Reaktionsschnelligkeit nachlässt. Die Bewusstmachung hilft, den Fahrstil seiner momentanen Befindlichkeit bzw. Streckenverhältnissen entsprechend anzupassen.    

 Zuschauermagnet Mür dl giat” - die Katzenmauer

Nach euphorischer Abfahrtsfreude vom Passo di Valparola piesackt zum Schluss der 19% Stich in La Villa gewaltig. Mental sollte man den Scharfrichter schon auf dem Schirm haben, damit die aufbäumende Wand einem nicht von Anfang an den Psycho-Stecker zieht. Der "Mür dl giat" - zu deutsch Katzenmauer - weist zwar im 360 m langen Steilstück nur 50 hm auf, aber nach über 3 000 hm bzw. 4 000 hm in den Beinen tut der Scharfrichter echt weh (der "Sargnagel" ist nur bei der mittleren und langen Strecke zu bezwingen). Der Ladinische Begriff “mür dl giat” bezeichnet die Bewohner von La Villa als „Katzen“. Im Grunde hilft die vorauseilende Glückshormonanflutung auf das nahende Ziel die schmerzhafte Schlussrampe druckvoll hoch zu kurbeln. Umso mehr, als dass die lautstarken Fans - wo die TV-Liveübertragung auf Monitoren präsentiert wird - die erschöpften ciclista nach oben peitschen.

Frenetische Anfeuerungsrufe aus dem Zuschauerspalier mobilisieren jedenfalls letzte Motivationsreserven. Faszinierend das knisternde Beziehungsgeflecht von Zuschauer und Sportler, dessen zwischenmenschliche Energiefeld sich beim Vorbeifahren schlagartig entlädt. Geben und Nehmen, Fans lieben die elektrisierende Show, während die Hauptdarsteller nonverbale Sympathien aufsaugen. Zuschauer und Akteure schweißt ein inniges Verbundenheitsgefühl zusammen. Geben und Nehmen - ein Spektakel von dessen elektrisierender Symbiose Zuschauer wie Hauptdarsteller ergriffen werden. Manche Fahrer werden vom Adrenalinpegel schmerzfrei geputscht - andere kapitulieren verzweifelt, steigen entkräftet ab und schieben ihr Gefährt. Der Freude tut es keinen Abbruch, denn wer vor dem offiziellen Zielschluss ankommt ist allemal ein glücklicher Held. Jeder Finisher kostet den hormonberauschenden Moment der Zieldurchfahrt aus und schwebt nach dieser phänomenalen Pässe-Gala auf Wolke sieben. 

Nützlicher Service: im Zielgelände in Corvara befindet sich ein überwachter Radabstellplatz. Somit kann man beruhigt sein Rad deponieren und an der Pasta-Party sowie Siegerehrung (ab 16.00 Uhr im Eisstadion Corvara) teilnehmen.


Da das Gadertal von majästetischen Bergen wie dem Heiligkreuzkofel (2908 m) und Piz Boè (3152 m) umgeben ist, war die Bevölkerung Jahrhunderte von Fremdeinflüssen abgeschottet. Sprache, Kultur und traditioneller Lebensstil blieben bis heute erhalten. Herzliche Gastfreundschaft, sympathische Mentalität und ausgesprägtes Traditionsbewusstsein wissen Touristen zu schätzen. 
Die Gegend um Corvara, Arabba, Canazei und Wolkenstein bietet ambitionierten Rennradlern ein perfektes Trainingsrevier. In der Ruhe liegt die Kraft. Wer einige Tage früher anreist, kann die traumhaft schöne Radregion ohne Rennhektik stressbefreit erkunden und sich den letzten Formschliff holen. Dazu bietet das mehrtägige Rahmenprogramm abwechslungsreiche Unterhaltung.

Umweltschutz sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Geleerte Riegel-Gel- und sonstige Verpackungen wie z.B. Bananenschalen gehören in vorgesehene Behälter am Anfang / Ende der Verpflegungsstellen - nicht auf die Straße. Unerlaubte Abfallentsorung ist kein Kavaliersdelikt, weswegen Zuwiderhandlungen konsequent mit Disqualifikation und Ausschluss der 5 Granfondo-Rennen in Italien geahndet wird.

Results 2018

2018 gab es bei den Männern wie bei den Frauen auf der 138 km Strecke jeweils einen italienischen Dreifacherfolg.

Männer

Elettrico Tommaso 4:38.13,4

Zanetti Igor 4:39.04,0

Castelnovo Paolo 4:39.04,1

Damen

Rausch Christina  5:19.03,5

Lombardo Ilaria 5:22.58,6

Maltha Martha 5:32.27,0

 

34. Maratona dles Dolomites - Enel 05. Juli 2020

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