Unfallzahlen 2020 auf historischem Rekordtiefstand

Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilt, sind im Jahr 2020 in Deutschland 2.719 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Das waren 327 Todesopfer bzw. 10,7 Prozent weniger als im Jahr 2019 (3.046 Todesopfer). Damit erreichte die Zahl der Verkehrstoten den niedrigsten Stand seit Beginn der Statistik vor mehr als 60 Jahren. Auch die Zahl der im Straßenverkehr Verletzten ging 2020 gegenüber dem Vorjahr zurück, und zwar um 14,7 Prozent auf rund 328.000 Personen.

Während die Zahl der Verkehrstoten im Vergleich zum Vorjahr bei den getöteten Pkw-Insassen (-14,2 % auf 1.170 Getötete) den höchsten Rückgang verzeichnet, ging die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Fußgänger auf 9,8 Prozent (376 Getötete) zurück. Der Rückgang bei den getöteten Fahrradfahrern mit -4,3 Prozent viel am geringsten aus (426 Getötete). 

Der signifikante Rückgang der Unfallzahlen im Jahr 2020 ist hauptsächlich auf das geringere Verkehrsaufkommen zurück zu führen. Aufgrund der Corona-Pandemie waren deutlich weniger Pendler, Urlauber, Tagesausflügler etc. unterwegs, weswegen auf Deutschlands Straßen sehr viel weniger Kilometer mit dem KFZ zurückgelegt wurden als im Vorjahr (lt. stat. Bundesamt sank die Gesamtfahrleistung um 11%). 

Widersprüchlich erscheinen die Unfallzahlen bei Fahrrädern. Obwohl der Fahrradverkehr boomte und insbesondere zur Coronazeit (Lockdown) noch nie soviele Menschen Rad fuhren, gingen die Unfallzahlen dennoch zurück. Doch auch wenn die Zahl der Verkehrstoten 2020 – nicht zuletzt wegen der Corona-Beschränkungen – gesunken ist, so bleibe die Entwicklung bei Fahrradunfällen besorgniserregend, konstatiert die Deutsche Verkehrswacht (DVW). Die erste Lockdown-Phase von März bis Juni 2020 hat die Ergebnisse entscheidend beeinflusst, da in diesem Zeitraum die Unfallzahlen laut Destatis um 26 Prozent zurückgingen und mehr als 17 Prozent weniger Getöteten registriert wurden. Der Rückgang bei Fahrradunfällen sei in dieser Zeit allerdings nur unterdurchschnittlich gewesen, bemerkt die Deutsche Verkehrswacht. Bereits im Juli 2020 habe es mehr Verkehrstote gegeben als im selben Vorjahresmonat und die Zahl der getöteten Radfahrenden sei um mehr als 22 Prozent gestiegen. Angesichts dieser Entwicklung will die DVW künftig einen Schwerpunkt beim sicheren Radfahren setzen. Dazu sagt DVW-Präsident Prof. Kurt Bodewig: "Die Corona-Krise hat erfreulicherweise mehr Menschen aufs Fahrrad gebracht, die Unfallzahlen aber auch deutlich erhöht. Die Präventionsarbeit der Verkehrswachten hat dagegen nicht stattfinden können und die Infrastruktur hängt weiter hinterher. Das Jahr 2021 wird bei uns im Zeichen der Radverkehrssicherheit stehen müssen, um hier den Negativtrend aufzuhalten."

Starker Anstieg der getöteten Pedelecfahrer

Die Sparte der Pedelecfahrer weist im Gegensatz zu den sinkenden Unfallzahlen eine gegenläufige Entwicklung auf. Demzufolge stieg die Zahl der getöteten Pedelecfahrer von Januar bis November 2020 um 22 (19,1 %) auf 137 Personen. Den Grund hierfür allein im Fahrverhalten wie beispielsweise unangepasster Geschwindkeit zu vermuten greift jedoch zu kurz. Vielmehr liegen die Ursachen sowohl in den enormen Wachstumsraten der E-Bikes, als auch in der desolaten Verkehrsinfrastruktur, die mit dem rasant steigenden Radverkehr (Klimawandel, Verkehrwende, Corona) schlichtweg nicht Schritt gehalten hat. Der Autoclub ADAC stellte im Dezember 2020 erhebliche Defizite fest und sieht dringlichen Handlungsbedarf. Der Appell, vermehrt in den Radwegebau bzw. Radwegeausbau zu investieren richtet sich an die zuständigen Kommunen.

Unfallforscher Siegfried Brockmann vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) vermutet mindestens zwei Gründe, wie er dem SPIEGEL sagte. Einerseits steige die Zahl der E-Bikes in Deutschland weiter rasant, der Bestand wachse jedes Jahr um etwa 20 Prozent. Zudem verunglücken E-Bike-Fahrer deutlich häufiger allein und seltener nach einem Zusammenstoß mit einem Pkw. Wie sehr dieses Phänomen hinter den gestiegenen Zahlen stecke, müsse noch genauer untersucht werden. Der E-Bike-Boom birgt seiner Meinung nach zunehmend Probleme. "Jeder dritte Radverkehrstote ist inzwischen ein Pedelecfahrer", sagte Brockmann der Nachrichtenagentur dpa. 

Eine Untersuchung in der Schweiz fand heraus, dass zwischen dem Bestand von E-Bikes und ermittelter Unfallquoten eine hohe Korrelation besteht, was die obige Grafik anschaulich illustriert. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass die gestiegenen Unfallzahlen bei Pedelecfahrern in allererster Linie damit zusammenhängen, weil immer mehr Menschen E-Bikes fahren. Ein Forschungsprojekt der ETH Zürich stellte fest, dass sich während des Lockdowns zwischen Frühling und Herbst die zurückgelegten Tagesdistanzen mit Fahrrädern und E-Bikes fast verdreifacht hatte. Dazu der nationale Dachverband <Pro Velo Schweiz>: "Während des Corona bedingten Lockdowns sind viele Menschen – auch weniger Geübte – aufs Velo gestiegen, um sich zu bewegen und um die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden. Dies hat zweifellos zu zusätzlichen Unfällen geführt." Auch wenn sich die Entwicklung auf die Schweiz bezieht, so lässt sich die Erkenntnis in gewisser Weise auch auf Deutschland übertragen. Zum Artikel <Unfallstatistiken sagen bloß die halbe Wahrheit>.

Aus der Verkehrsunfallstatistik des Statistischen Bundesamts wird nicht ersichtlich, dass während des Corona-Lockdowns wesentlich mehr "ge-e-biked" wurde. Erst eine differenzierte Betrachtung, heruntergerechnet auf Personenkilometer durchleuchtet das Unfallgeschehen.  Selbst bei steigenden Unfallzahlen muss deshalb das e-biken zwangsläufig risikoreicher geworden sein. Bleibt festzuhalten: werden Unfallquoten in Relation zur Gesamtfahrleistung bzw. Anzahl der E-Biker gesetzt, lässt sich der Trend der Unfallzahlen genauer bewerten.

Altersstruktur

Das Risiko für ältere Fahrradfahrer in einen tödlichen Unfall verwickelt zu werden steigt mit zunehmenden Alter an, wie die Statista-Grafik auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes aufzeigt. Das gilt sowohl für Radfahrer mit einem Fahrrad ohne Elektromotor wie auch für E-Bikes (Pedelecs). Für beide Radgattungen gilt: Bei mehr als der Hälfte der tödlichen Unfälle war der Radfahrer 65 Jahre oder älter. Bei Pedelecs liegt der Anteil der Senioren sogar bei 72 Prozent. Das liegt vor allem an der zunehmenden Gebrechlichkeit und beeinträchtigten Motorik, weshalb die Folgen von Verkehrsunfällen gravierender sind als in jüngeren Jahren. Da der Altersdurchschnitt der E-Biker im Vergleich zu Radfahrern ohne Akkuschub um einige Jahr höher liegt drückt sich dies dementsprend in der Unfallstatistik aus. Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil verunglücken Menschen ab 65 Jahren zwar seltener bei Verkehrsunfällen als jüngere, dennoch sind sie überproportional häufig in schwere Verkehrsunfälle verwickelt. So lag ihr Anteil an allen Verunglückten im Jahr 2018 bei 13,4 Prozent. Bei den Verkehrstoten gehörte jedoch fast jeder Dritte (32,0 Prozent) zu dieser Altersgruppe.

Im längerfristigen Zeitvergleich wird deutlich, dass die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Pkw-Insassen sowie Fußgänger bereits seit mehreren Jahrzehnten überdurchschnittlich sinkt. Von 1991 – also seit der deutschen Vereinigung – bis 2020 sank die Zahl der Menschen, die durch Verkehrsunfälle ums Leben kamen, insgesamt um 76 %. Bei Pkw-Insassen war der Rückgang mit -83 % weitaus stärker, ebenso bei Fußgängern mit -80 %, wogegen die Rückgänge bei Kraftrad- und Fahrradfahrer wesentlich geringer ausfielen (-55 % beziehungsweise -54 %).

Trotz des überdurchschnittlichen Rückgangs sind nach wie vor die meisten Verkehrstoten Pkw-Insassen. Allerdings stellten diese 1991 noch rund 60 % aller Verkehrstoten, 2020 waren es 43 %. Dagegen hat sich der Anteil der getöteten Kraftradfahrer an allen Verkehrstoten von rund 11 % auf 20 % erhöht. Der Anteil der Radfahrer an den Verkehrstoten ist von rund 8 % auf 16 % gestiegen. 

Corona-Pandemie bedingt geringes Verkehrsaufkommen und weniger Verkehrsunfälle

Das durch die Corona-Pandemie bedingte geringe Verkehrsaufkommen hat sich im 1. Halbjahr 2020 deutlich auf das Unfallgeschehen im Straßenverkehr ausgewirkt: In den ersten sechs Monaten des Jahres sind in Deutschland 1 281 Menschen bei Straßenverkehrsunfällen ums Leben gekommen. Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) waren das 195 Personen oder 13,2 % weniger als im 1. Halbjahr 2019. Die Zahl der Verletzten ging um 18,7 % auf knapp 148 100 Personen zurück. Noch nie seit der deutschen Vereinigung im Jahr 1990 wurden von Januar bis Juni weniger Menschen bei Verkehrsunfällen getötet oder verletzt. Quelle: destatis (Statistisches Bundesamt)

Maßnahmen, um Radunfälle zu vermeiden

Fokus Online zufolge sagte die Sprecherin für Radverkehr vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), Anika Meenken auf die Frage, ob die Unfallzahlen von Radfahrern im Hinblick der Corona-Krise weiter zunehmen werden: "Ja, ich denke, dass es eine weitere Zunahme gibt, weil mehr Menschen auf das Rad umsteigen". Mit mehr gefahrenen Fahrradkilometern würde auch die Zahl der Unfälle zunehmen.

Breitere Radwege, Abbiegeassistent für den motorisierten Verkehr, unterschiedliche Ampelphasen für den Radverkehr, Tempo 30 in weiten Teilen der Städte und eine schnelle Umsetzung des neues Bußgeldkatalogs mit höheren Bußgeldern und Fahrverboten seien nötig.

"Die steigenden Zahlen von Unfalltoten unter Radfahrern sind auch der deutlichen Zunahme das Radverkehrs im Allgemeinen und der Pedelecs im Speziellen geschuldet", sagte ADAC-Sprecherin Katrin van Randenborgh.

Klar sei, dass der Investitionsbedarf bei der Radverkehrsinfrastruktur hoch ist.

Aus Sicht des ADAC sei es dringend erforderlich, bei der Nachrüstung mit Abbiegeassistenten von Bestands-LKW schnell Fortschritte zu machen. "Technisch ist eine Kombination mit einem Notbremssystem sinnvoll."

Verbesserungswürdige Radinfrastruktur 

"Deutsche Städte liegen Jahrzehnte zurück beim Ausbau der Radinfrastruktur", sagte die Expertin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, Stephanie Krone. Dies räche sich jetzt, wo der Radverkehr zunehme. "Seit Corona sehen wir einen regelrechten Fahrradboom und viele Neuaufsteiger auf dem Rad – und genau das hat sich die Bundesregierung im Rahmen des Klimapakets auch vorgenommen."

Das kräftige Wachstum des Radverkehrs sei ja politisch gewollt. Was es jetzt brauche, sei der schnelle Ausbau der Radwege, der sichere Umbau von Kreuzungen und eine Reduzierung des Autoverkehrs in den Innenstädten, sagte Krone.

Dass Autos und Laster verpflichtende Fahrassistenzsysteme brauchen, die Fußgänger und Radfahrer aktiv schützen, sei klar.

"Die Gefahr geht in erster Linie von den Kraftfahrzeugen aus – und wird verstärkt durch eine fahrradunfreundliche Gestaltung der Städte."

 Am effektivsten kann der Radfahrer selbst zu seiner Sicherheit beitragen, indem er neben einer achtsamen Fahrweise einen Radhelm trägt. Doch leider lässt die Helmtragequote zu wünschen übrig. Laut Bundesanstalt für Straßenwesen setzen gerade mal 26 Prozent aller Radfahrer einen Helm auf (Stand 2020), d.h. knapp ¾ der Pedaleure radeln in Deutschland "oben ohne".

Der Abbiegeassistent

Seit Jahren sinkt zwar die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland, nicht aber der Anteil der getöteten Radfahrer. Besonders die Zahl der Todesfälle bei Abbiegevorgängen von LKW's stieg dramatisch. 2013 wurden in Deutschland beim Rechtsabbiegen 28 Radfahrer bzw. 2017  sogar 38 Radfahrer laut ADFC von einem Lastwagen überrollt und getötet. Dabei ist die ausreifte Technik - welche Leben retten hilft - seit mehr als einem Jahrzehnt verfügbar. Entsprechende Assistenzsysteme vermögen LKW-Fahrer zu warnen sobald sich neben dem LKW etwas bewegt.

Bereits 2009 hatte der ADAC den Hersteller MAN für ihren elektronischen Abbiegeassistenten den Gelben Engel verliehen, dennoch hat die VW-Tochter das prämierte System bis heute nicht auf den Markt gebracht. Einzige Ausnahme ist der Actros - ein 40-Tonner von Mercedes - der serienmäßig mit einem eingebauten Abbiegeassistenten ausgestattet ist bzw. Edeka, die ihre Liefer-Lkw auf eigene Faust aufrüsteten. Kameras und Sensoren, die den toten Winkel überwachen und den Fahrer vor Fußgängern und Radfahrern warnt gibt es also längst. 

Dass die Technik zwischen 600 bis 2500 € angeboten wird und das Bundesverkehrsministerium überdies einen 80-Prozent-Zuschuss gewährt und die lebensrettende Technik trotz alledem kaum eingesetzt ist skandalös. Der Einbau des elektronischen Abbiegeassistenten ist gesetztlich nicht vorgeschrieben. Das Bundesverkehrsministerium hatte sich 2012 und 2014 zwar mit dem Thema befasst, worauf Deutschland bei den Brüsseler Behörden Vorschläge für eine Regelung einreichte. Das zuständige Bundesverkehrsministerium erklärt hierzu: "Der Abbiegeassistent solle so schnell wie möglich per Gesetz vorgeschrieben werden". Doch Deutschland bleibt eine Umsetzung durch einen nationalen Gesetzentwurf verwehrt weil es gegen EU-Bestimmungen verstoßen würde. Die gesetztlichen Voraussetzungen sind international geregelt, weswegen Deutschland diese nicht im Alleingang ändern kann.

Doch die EU-weite Pflicht des Abbiegeassistenten kommt. Demnach sieht die neue Regelung verpflichtende Abbiegeassistenten für LKW und Busse bei neuen Fahrzeugtypen ab 2022 vor. Ab 2024 soll sie grundsätzlich für alle Fahrzeugtypen gelten. Die EU-Kommission geht davon aus, dass Dank dieser Maßnahmen bis 2038 über 25.000 Menschenleben gerettet werden können. Da drängt sich natürlich schon die Frage auf, warum bei Angesichts der lebensbedrohlichen Gefährdungslage eine derartige EU-Regelung so lange auf sich warten lässt. Darüber hinaus sind ab 2022 auch Spurhalteassistenten, intelligente Geschwindigkeitsassistenz sowie ein erweitertes Notbremsassistenzsystem für PKW's vorgeschrieben. Die noch ausstehende Zustimmung aller EU-Staaten und des Plenums zu den geplanten Regelungen gilt laut Insiderkreisen nur noch als reine Formsache.